Jan 8, 2015  |   No Comments

Complex West: Apartment 92

Complex West: Apartment 92

„Complex West: Apartment 92“
Format: KindleEdition
Dateigröße: 880 KB
Gleichzeitige Verwendung von Geräten: Keine Einschränkung
Verlag: Titus Verlag (4. Januar 2015)
Verkauf durch: Amazon Media EU S.à.r.l.
Sprache: Deutsch
ASIN: B00RSRK9TA
X-Ray: Nicht Aktiviert

Inhalt

In Complex West, einem Gebäudekomplex in Fishkill, New York, verknüpfen sich die Schicksale der Bewohner auf merkwürdige Weise. Ohne es zu ahnen, mischen sich die Gefühle und Erlebnisse zu einer Mixtur aus Angst, Hoffnung, Wahnsinn und Hass. Welches Geheimnis birgt das alte Gemäuer? Und was hat der Hausmeister Samuel Gillager mit all dem zu tun?
Jede Episode aus »Complex West« erzählt die Geschichte aus der Sicht eines Bewohners oder Besuchers und entführt den Leser immer wieder aufs Neue in die Abgründe der menschlichen Seele.

Leseproben


Kapitel 1

Der Lichtschalter summte eigenartig. Die Glühbirne flackerte unruhig auf, ehe sie mit einem Knacken endgültig erlosch. Gefrustet betätigte ich den Schalter ein zweites, dann ein drittes Mal. Ohne Erfolg.

»Verdammt.«
Ich gab auf und nahm mir vor, Mr. Gillager darauf anzusprechen, sobald er mir das nächste Mal über den Weg laufen würde. Schließlich war er Hausmeister in Complex West und hatte sich um Angelegenheiten wie die Flurbeleuchtung zu kümmern. Umständlich kramte ich im Halbdunkel den Schlüssel aus meiner Handtasche. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, ehe ich ihn gefunden, ins Schloss meines Apartments gesteckt und aufgeschlossen hatte. Im Foyer ließ ich achtlos meine zahlreichen Einkauftaschen fallen und schlüpfte im Laufen aus dem sündhaft teueren, dunkelblauen Escadamantel. Die kostspieligste Errungenschaft meiner heutigen Shoppingtour. Eigentlich mein ganzer Stolz. Aber mit dem Ding verhielt es sich, wie mit all dem anderen schnöden Nonsens, den ich mir kaufen konnte. Sobald ich sie an der Kasse über die Ladentheke gelegt, meinen Geldbeutel gezückt und bezahlt hatte, wurden die Dinge augenblicklich uninteressant für mich.

Meine hohen Pumps klackerten auf dem Marmorfußboden, als ich den Salon durchquerte. Im Vorbeilaufen drückte ich den Knopf meiner Soundanlage. Sobald die sanften Klaviertöne von Ludovico Einaudi erklangen, entspannte ich mich und wurde augenblicklich zu mir selbst. Wie den teueren Mantel aus dem Serge´s legte ich das aufgesetzte Lächeln, das selbstbewusst elegante Auftreten ab und verwandelte mich in mich selbst. Zu Katy, einer natürlichen 24-Jährigen, die im obersten Stockwerk des heruntergekommenen Complex West in einem 160 qm großen Luxusapartment lebte und ihr Leben im goldenen Käfig in vollen Zügen genoss. Die genug Geld hatte, um sich all die schönen Dinge kaufen zu können, die das Herz einer jeden Frau höher schlagen ließen. Wenngleich ich mein Geld auf eine Weise verdiente, die manch einer für abstoßend und schmutzig hielt.

Ich öffnete den Kühlschrank hinter der Bar und griff nach einer Dose Red bull. Vor mich hinsummend öffnete ich sie, goß den Inhalt in ein hohes Longdrinkglas und füllte den Rest bis zum Rand mit Grey Goose Vodka auf. Ohne Eis. Ich war schließlich keine Pussi.

Ich ließ mich auf die Couch fallen und streifte mir aufseufzend die mittlerweile drückenden Pumps von den Füßen. Mein Blick fiel auf meinen Kater, der neugierig schnuppernd um meine Einkaufstaschen herumstrich.

»Komm her, Linus«, lockte ich und klopfte einladend neben mich auf das Polster. Er kam näher und sprang herauf. »Na, warst du artig, während ich weg war?«
Schnurrend drückte er seinen schmalen Körper gegen mich, drehte sich ein paar Mal im Kreis und rollte sich dann auf meinem Schoß zu einer Kugel zusammen. Ich kraulte ihm liebevoll durch sein schwarzes Fell. Ich liebte und verwöhnte den kleinen Kerl gleichermaßen. Er war einer der wenigen Lichtblicke in einem ansonsten recht düsteren Leben. Seit knapp zwei Jahren leistere er mir nun schon Gesellschaft. Ich hatte ihn beim Spazierengehen im Wald hinter dem Complex West gefunden. In einem alten, vom Regen aufgeweichten Karton. Gemeinsam mit seinen vier Geschwistern. Ihn hatte ich mitgenommen. Weil er als Einziger still in der Ecke gekauert und nicht wie die anderen lautstark um Milch gebettelt hatte. Er hatte mich an mich selbst erinnert.

Ich nippte entspannt an meinem Drink und genoss den kurzen Moment der Ruhe. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass mir noch eine ganze Stunde blieb, ehe mein erster Kunde erscheinen würde. Den ganzen Vormittag über war ich in Fishkill zum Shoppen unterwegs gewesen, hatte mir in Joe Willy´s Seafood House einen Krabbensalat gegönnt und auf dem Rückweg die Wäsche aus der Reinigung geholt. Heute war ein guter Tag. Und ja, es ging mir auch gut. Blendend, um genau zu sein. Aber ich würde nie vergessen, dass es eine Zeit gegeben hatte, in der es mir beschissen gegangen war. Auch nicht den Tag, an dem sich mein ganzes Leben von Grund auf verändert hatte. Gerade mal drei Jahre war es her, als ich Nicolás Rodrígues zum ersten Mal begegnet war. Wir hatten uns auf einer Party kennengelernt. Einer Party voller Alkohol, Drogen und Abschaum, bei der mir klar geworden war, dass ich so ein Leben einfach nicht weiterführen wollte. Von einem Vater verstoßen, dem ich nicht zu Willen hatte sein wollen. Einer Mutter verlassen, die bis zum heutigen Tag in einer Nervenheilanstalt in Nebraska vor sich hinvegetierte. Von einem trostlosen Job an einer Tankstelle angeödet, bei dem ich mich beinahe täglich den ölverschmierten Fingern des Besitzers ausgesetzt gesehen hatte. Es war einfach kein Funken Lebenswillen mehr in mir gewesen.

Nicolás war mir auf das Dach des Mietshauses gefolgt, in dem die Party stattgefunden hatte. Und wenn er nicht gewesen wäre, wenn er nicht eine Stunde lang beruhigend auf mich eingeredet hätte, ich wäre gesprungen. Obgleich kleiner und leichter als ich, hatte der Mann mich mit überraschender Kraft gepackt und über die Metallumrandung gezerrt, über die ich geklettert war, um meinem beschissenen Dasein ein Ende zu setzen. Mit rotzverschmiertem Gesicht hatte ich anschließend in seinen Armen auf dem Boden gesessen und mir stundenlang seine Predigt angehört. Von einem Leben, das man nicht einfach wegwerfen durfte. Von einem hübschen Gesicht, das ihn vom ersten Augenblick an gefesselt hatte, und welches er lieber geschminkt und zurechtgemacht sehen wollte, als zerschmettert auf irgendeinem kalten Betonboden. Er hatte mir erklärt, dass das Leben nicht so weitergehen müsste. Nicolás hatte mir versprochen, sich von jetzt an um mich zu kümmern. Er hatte mir versprochen, mir eine schöne Wohnung zu besorgen und einen Job, bei dem ich viel Geld verdienen würde. Er wollte mir helfen, wieder auf die Beine zu kommen und hatte prophezeit, dass ich bald wieder glücklich sein würde. Seine Worte hatten eine schillernde Zukunft in mein Herz gemalt, und nach und nach hatte ich ihm geglaubt, mich beruhigt und mich mit aller Macht an den Zipfel Hoffnung geklammert, den Nicolás mir gereicht hatte. Seine einzige Bedingung war meine rückhaltlose Bereitschaft, mich dem zu fügen, was er mit mir vorhatte. Ich hatte ihm versprochen, seine Bedingung zu erfüllen. Ohne zu zögern. Was auch immer es sein mochte.

Er hatte all seine Versprechen gehalten. Alle, bis auf eines: Glücklich war ich nicht geworden. Aber zufrieden. Etwas, das im Vergleich zu damals mehr war, als ich mir je erträumt hatte.

Noch am selben Abend hatte Nicolás mich mit zu sich nach Hause genommen. Er hatte mir Kakao gekocht, mich unter die Dusche und dann ins Bett gesteckt. Etwas, dass noch nie jemand für mich getan hatte. Noch nie hatte sich jemand darum geschert, wie es mir ging oder wie ich mich fühlte. Niemals zuvor hatte mir jemand zugehört und Hoffnung geschenkt, oder sich um mich gekümmert. Ich hatte schon immer nach mir selbst sehen müssen. Von klein auf. Im Prinzip hatte ich meine gesamte Kindheit allein auf mich selbst gestellt verbracht. Vorallem, um meinem stets betrunkenen Vater zu entgehen. Ich hatte allein gespielt, auf der Hintertreppe unseres Mietshauses meine Hausaufgaben gemacht und war zum Essen oft zu Mrs. Bridget gegangen. Sie war unsere Nachbarin gewesen und hatte Mitleid mit mir gehabt. Nicolás Fürsorge war Balsam auf meine einsame Seele gewesen. Ich hatte ihm vertraut.

Am nächsten Tag war er mit mir zu einem riesigen, etwas schäbigen Wohnblock, dem Complex West, gefahren und hatte sich dort eine Wohnung im obersten Stockwerk zeigen lassen, von der aus man einen herrlichen Rundumblick gehabt hatte. Ich kannte das Gebäude nur von Erzählungen und hatte gehört, dass allerhand schräge Gestalten hier leben sollten. In der Stadt gingen die seltsamsten Gerüchte um, was die Bewohner von Complex West anging. Noch seltsamer waren die Geschichten um den Wohnkomplex selbst. Manche behaupteten, es hätte früher einen Ostflügel gegeben, der irgendwann in den Fünfzigern abgerissen worden war. Andere flüsterten hinter vorgehaltener Hand, es gäbe geheime Katakomben, in denen unheimliche Dinge geschehen würden. Auch davon, dass die Menschen, die in Complex West lebten, sich mit der Zeit sonderbar verhielten, hatte ich gehört. Wer weiß das schon? Mir war es gleichgültig. Ich hatte noch nie viel auf das gegeben, was andere plapperten und immer nur nach mir selbst gesehen. Aber als Kind hatte ich um dieses unheimliche Gebäude stets einen großen Bogen gemacht.

Apartment 92 war Nicolás etwas zu klein gewesen, für was auch immer. Mich hatte es überrascht. War es doch ein Apartment, das größer war als jedes, in dem ich je gewesen war. Es gab in diesem Stockwerk noch eine weitere Wohnung, Apartment 91. So hatte Mr. Gillager, der Verwalter und Hausmeister des Complex West, Nicolás einfach die zweite Wohnung mit dem Vorschlag angeboten, die beiden Apartments mittels eines Durchbruchs zusammenzuführen. Ich erinnere mich noch gut, dass ich sehr beeindruckt davon gewesen war, wie zielstrebig Nicolás die ganze Sache in die Hand genommen hatte. Er hatte kurzerhand die Kaufverträge für beide Apartments unterschrieben und mich als Eigentümer eintragen lassen. Keine Woche später hatte er Umbaumaßnahmen in Auftrag gegeben, die Verbindungswand beider Apartments durchzubrechen, das Bad zu renovieren, die Böden neu zu legen und alles zu streichen. Sogar eine neue Küche hatte er bestellt, sowie eine komplett neue Möbel. Ich hatte mich gewundert, wie es ihm gelungen war, Handwerker aufzutreiben, die sich sofort an die Arbeit gemacht hatten. Aber mit Geld schafft man vieles. Und davon hatte er genug, das wurde mir sehr schnell klar.

Die ganze Zeit über, in der Apartment 92 renoviert worden war, hatte ich bei Nicolás in seinem Haus in der Innenstadt von Fishkill wohnen dürfen. Insgeheim war ich mir sicher, er würde früher oder später den Preis für seine Hilfe und Großzügigkeit einfordern. Ich hatte nur darauf gewartet, dass er zudringlich werden und mich ins Bett ziehen würde. Doch nichts dergleichen war geschehen. Er hatte mich komplett neu eingekleidet, hatte mich zum Friseur geschickt und zur Kosmetikerin. Er hatte mir eine Dauerkarte für das Sonnenstudio in der Mainstreet besorgt und im Day Spa Ganzkörpermassagen für mehrere Behandlungen gebucht. Ich war mir vorgekommen, wie das arme Mädchen in diesem berühmten Kinofilm, das plötzlich zur Prinzessin wird und sein Glück kaum fassen kann. Als ich mich dann zum ersten Mal im Spiegel betrachtet hatte, hatte ich mich kaum wiedererkannt. Nicolás hatte eine Schönheit zutage gebracht. Als die Wochen vergangen waren und mir klar geworden war, dass er mich nicht anfassen würde, hatte ich alles bis in die letzten Nervenspitzen genossen. Bis zu dem Tag, an dem die Umbaumaßnahmen beendet und Nicolás mit mir in mein neues Zuhause gefahren war.

Es war einfach umwerfend geworden. Ein Märchentraum in Weiß. Weiße Marmorböden, weiße, bodenlange Vorhänge, ein schneeweißer Kamin im Salon mit zwei großen, schwarzen Steinlöwen davor. Ein Badezimmer, das so groß war wie die letzte Wohnung, in der ich gehaust hatte. Und ein traumhaftes Bett aus weißem Leder in einem Schlafzimmer, von dem ich nie zu träumen gewagt hätte. Allein für die hohen, ausladenden Pflanzen, die in schwarzen Trögen überall in der Wohnung verteilt standen, hatte Nicolás ein kleines Vermögen bezahlt. Ich hatte mich gefreut wie ein kleines Kind, war übermütig in der Wohnung herumgesprungen und hatte mich mit ausgebreiteten Armen im Kreis gedreht. Die Vorstellung, dass all das nur für mich sein würde, war berauschend gewesen. Ich hatte mich auf mein neues Leben gefreut. Bis Nicolás mir seine Pläne, mich betreffend, offenbart hatte.
»Aua.«

Linus riss mich aus meinen Gedanken. Er hatte sich mit seinen Krallen in meiner Strumpfhose verfangen und versuchte schmerzhaft, sich zu befreien. Mit einem sanften Schups beförderte ich ihn auf den Teppich und rieb mir mit schmerzverzogenen Lippen den Schenkel.

»Kleiner Teufel«, schimpfte ich ihm hinterher. Dann lachte ich über seinen beleidigten Gesichtsausdruck und erhob mich.
Es war Zeit zu duschen und mich umzuziehen.
Kapitel 2.

Ich hatte mich nackt auf das große Bett in meinem Arbeitszimmer gelegt, die Augen fest geschlossen. Die Beine leicht gespreizt, verharrte ich unbeweglich und versuchte meine Atmung so flach wie möglich zu halten. Im Foyer konnte ich hören, wie die Haustür geschlossen wurde. Dann seine Schritte. Das Leder seiner Sohlen quietschte leise. Es raschelte. Vermutlich legte er seine Jacke auf den Sessel. Dann trat er zu mir. Er keuchte bereits. Ich unterdrückte einen Seufzer.

»Du hast so schönes, braunes Haar, kleine, tote Fotze«, murmelte er und kniete sich zu mir aufs Bett.
Er strich mit den Händen durch mein langes Haar und packte zu. Beinah hätte ich vor Schmerz aufgestöhnt, so fest vergruben sich seine Finger darin. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten. Sein Gürtel klapperte, als er ihn öffnete. Dass er seinen Penis hervorholte, konnte ich nicht sehen. Ich konnte es riechen. Ein Ekelschauer überzog meine Haut. Ich würde dringend mit Nicolás sprechen müssen. Meine Kunden hatten sich verdammt nochmal an Regeln zu halten, deren Einhaltung unbedingt zu beachten war. Ohne das war ein Besuch bei mir ausgeschlossen. Dazu gehörte unter anderem körperliche Reinheit für jeden, der mich besuchen kam. Ich hatte Malcom schon einmal darauf hinweisen müssen. Allerdings war sein Besuch heute recht kurzfristig gebucht worden, und so durfte ich vermutlich nicht kleinlich sein. Später würde ich ihn letztmalig darauf hinweisen, dass er seine nekrophilen Neigungen nur dann ausleben durfte, wenn er sich an die Regeln halten würde.

Ich hörte, wie Malcom sich die Kleider vom Leib zerrte. Dabei murmelte er vor sich hin. Mal leise und ruhig, dann wieder hektisch und aufgeregt. Es klang, als würde er beten.
»Ich muss sie umdrehen.«
Er rollte mich grob auf die Seite. Mein Bein schlenkerte dabei leblos über die Matratze, was ihm ein Grunzen entlockte.
»Ja, so ist es gut«, nuschelte er erregt.
Er schob mein Knie Richtung Brust, kniete sich hinter mich und begann lange und ausgiebig an meinem Hintern zu riechen.
»Du bist tot, du hübsche Dirne. Du bist tot«, kam es zischend zwischen seinen Lippen hervor. »Du riechst so schön nach Tod.«

Er lachte ein spitzes, hysterisches Lachen und richtete sich auf. Gleich darauf rieb er seinen Penis über meinen Schenkel. Ich konnte hören, wie die Vorhaut auf und ab glitt. Ich versuchte weiterhin regungslos zu liegen, obwohl mir in dieser Stellung das Bein einzuschlafen drohte. Als er einen meiner Arme anhob und wieder fallen ließ, lachte er erneut auf. Es klang kindlich und so geisteskrank, wie er war. Krank und unheilbar. Wie übrigens jeder zweite meiner Kunden. Ich hasste meinen Job.